Angst im Job
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Christiane Büchsel

Angst und Neid prägen das Arbeitsklima seit der Wirtschaftskrise.
Die Folge: Mehr als jeder Zweite verschleppt Entscheidungen im Job.
Was Chefs und Mitarbeiter jetzt ändern müssen.

... Im Geschäftsleben — besonders in Krisenzeiten — zählen Fakten und
Effizienz. Mitarbeiter werden derzeit eher als Kostenfaktor denn als Menschen wahrgenommen. Dass der Umgang in Unternehmen seit der Wirtschaftskrise
rauer geworden ist, belegt das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage des Instituts Empirica Delasasse exklusiv für Euro. 51,4 Prozent der Angestellten,
Chefs und Vorstände sagen, dass die Unternehmen seit der wirtschaftlich schwierigen Lage autoritärer geführt werden. Dass sich Chefs dabei immer öfter
im Ton vergreifen, zeigt eine weitere exklusive Umfrage für €uro, durchgeführt
vom SOKO­Meinungsforschungsinstitut MAFO: So gab fast jeder Zehnte der 30-
bis 39- Jährigen an, seit der Wirtschaftskrise immer häufiger unter dem Gebrüll seines Vorgesetzten zu leiden.

„Wir geraten zunehmend in eine Angstgesellschaft. Je höher die Position, desto mehr steigt auch der Faktor Angst", sagt Lothar Drat von der Beratungsstelle „Balance" des Vereins gegen psychosozialen Stress und Mobbing.
Der Wiesbadener zieht aus seinen Beratungsgesprächen den Schluss, dass Chefs inzwischen (Einschub: 30 – 70 und in Ausnahmefällen) bis zu 90 Prozent ihrer Arbeitszeit auf Machtspiele und Sicherung ihrer Position aufwenden. Je unsicherer die Lage, umso härter ringen Vorgesetzte um Autorität.

Viele Chefs stehen mit dem Rücken an der Wand, sodass sie manchmal das richtige Maß verlieren, erklärt Stefan Blankertz von der Untemehmensberatung Pro Change. „Doch das ist oft ein Hilfeschrei. Die Chefs wissen selber nicht weiter, weiß der Pulheimer aus zahlreichen Konfliktgesprächen. Mitarbeiter verstehen dies hingegen oft als: "Der will mich runtermachen." Und so geben Chefs unter der Diktatur von Controllern den Druck von Geschäftsführung und Kapitalmarkt nach unten durch. Gleichzeitig steigt bei vielen Führungskräften die Furcht, eine unternehmerische Fehlentscheidung zu treffen, Geld in den Sand zu setzen oder die falschen Leute ins Team zu holen. Nicht zu entscheiden ist besser als eine falsche Entscheidung. Mehr als jeder Zweite (54,1 Prozent) wägt jetzt genauer ab, welches Risiko er noch eingehen sollte. Wer eine Idee hat, wird heute als Erstes gefragt, was es kostet, und nicht, was es für das Unternehmen bringen könnte. Besonders davon betroffene sind Großkonzerne, weiß Thomas Barth, Geschäftsleiter Freudenberg Forschungsdienste, aus Gesprächen mit Kollegen; schneller entschieden werde hingegen in familiengeführten Firmen. „Bei Entwicklungsprojekten sind genaue Kosten nur rudimentär abschätzbar. Und jeder sollte wissen, dass ein Großteil der Projekte in den Sand gesetzt wird", sagte Barth. Allerdings: „Die Schere setzt bereits im Kopf der Entwickler an. Es werden nur noch die Kosten, aber nicht mehr die Ziele eingehalten — und viele sind nicht mehr bereit, überhaupt riskante Projekte anzupacken." Ein fataler Fehler. So werden viele innovative Ansätze bereits im Keim erstickt. Kein Raum für Kreativität und strategische Planung.

Ein weiteres Indiz: 48,7 Prozent — und damit fast jeder zweite Mitarbeiter und Chef —fürchten so sehr um ihren Job, dass Engagement und die Bereitschaft, Risiken einzugehen und etwas Neues anzupacken, abnehmen. „Wenn ich etwas mache und es dann schief geht, bin ich der Erste, der gehen darf", beschreibt Professor Winfried Panse von der Fachhochschule Köln die Stimmung auf den Bürofluren. „Angst ist ein schlechter Ratgeber, auch in Krisenzeiten", so der Wirtschaftssoziologe.

Das Dilemma der Personaler Eingeschüchterte Mitarbeiter leisten Dienst nach Vorschrift—bestenfalls. „Der Weg zur inneren Kündigung ist dann nicht mehr weit", warnt Panse. Und damit steuern die Firmen in die Katastrophe: Denn demotivierte Mitarbeiter verweigern den Unternehmern ihre volle Leistung. Nur zwölf Prozent der Arbeitnehmer in Deutschland weisen eine hohe emotionale Bindung an ihren Job auf, belegt eine aktuelle Studie der Beratungsgesellschaft Gallup. Tendenz sinkend. Zum Vergleich: 2001 waren es noch 16 Prozent. Ein geringeres Engagement im Job verspüren derzeit nur Japaner mit neun, Franzosen mit sechs und Singapurer mit vier Prozent.

Eine Langzeitstudie von Panse und Wolfgang Stegmann fasst destruktive Phänomene wie innere Kündigung, Intrigen, Machtkämpfe und Mobbing in Zahlen: So entsteht der deutschen Wirtschaft durch berufliche Ängste jährlich ein Schaden von rund 100 Milliarden Euro.

43 Prozent der Mitarbeiter, die von ihrem Chef schlecht behandelt werden, gehen mit ihren Kunden unhöflich um, und in 72 Prozent der Fälle lästern solche Mitarbeiter gegenüber Dritten über ihren Arbeitgeber, zeigt eine Studie der University of South Florida auf. Neben einem Produktivitätsverlust droht auch noch der Imageverlust.

Einen Zusammenhang mit der Demotivation im Job sieht Konfliktberater Drat auch in der steigenden Arbeitsbelastung: „Wo früher zehn Mitarbeiter waren, sind es heute noch acht" Diese Arbeitsverdichtung geht zu Lasten der Kommunikation,
was wiederum ein Faktor ist, der Stress und damit die Depression in den Betrieben erhöht. Zusätzlich übernehmen viele Vorgesetzte immer mehr Sachaufgaben, um ihre Mitarbeiter zu entlasten. Die Folge: Die Führungsriege hat noch weniger Zeit für Kommunikation, was viel Raum für Flurfunk lässt. Mit gezielten Gerüchten ist dann der Weg zum Mobbing nicht mehr weit. Stellt dies der Chef nicht innerhalb kurzer Zeit richtig, wachsen Zweifel und Verunsicherung der Mitarbeiter. Das Problem belegt deutlich die €uro-Umfrage.

Für fast jeden dritten Arbeitnehmer haben seit der wirtschaftlich schwierigen Lage Konkurrenzdruck und Neid zugenommen. Faktoren, die für jeden zweiten Arbeitnehmer das Arbeitsklima und damit das Wohlbefinden im Job beeinflussen. Bei den Älteren über 60 spüren sogar 43,5 Prozent mehr Konkurrenz und Neid. Die hohe Zahl lässt sich damit erklären, dass junge Angestellte, die oft einen Hauptteil der Arbeit schultern, in dieser Form ihren Unmut äußern: „Viele Ältere will man weghaben, sie genießen aber einen hohen Kündigungsschutz", erklärt Panse....

...Das Kernproblem der blockierten Leistungs- und Risikobereitschaft breiter Mitarbeiterschichten muss wieder durch Vertrauen ins Management und dessen Glaubwürdigkeit gelöst werden. Dafür sollten viele Vorgesetzte zunächst die eigene Unsicherheit überwinden, rät Angstforscher Panse. „Entscheiden Sie sich bewusst für einen Weg und gehen Sie diesen konsequent."

Er warnt Chefs – auch aus Selbstschutz – vor einer anonymisierten Führung. Sie sollten sich nicht hinter dem bösen Vorstand oder Geschäftsführer verstecken:
„Bei der nächsten Entlassungsrunde sind Sie dran, weil sich alle fragen, wofür sie jemanden brauchen, wenn er nichts entscheidet."

Mitarbeiter bräuchten Halt und Geborgenheit in der chaotischen Unternehmenswelt, einen „teamorientierten Patriarchen", wie er oft noch bei Mittelständlern zu finden ist, straff führend, aber schützend. „Mitarbeiter müssen spüren, dass die Chefs hinter ihnen stehen und sich Zeit für sie nehmen", rät Panse ... Dann können Mitarbeiter etwas wagen und auch zunächst scheinbar blödsinnige, aber innovative Ideen vorbringen.

Auch Berater Drat ist für ein Teamspiel mit verlässlichen Regeln. „Wie kann eine Mannschaft gewinnen, wenn der Coach nicht die Spielpositionen festlegt?", gibt
er zu Bedenken. Er plädiert für eine geradlinige Kommunikation: „Eine bittere Wahrheit ist besser als lauter Halbwahrheiten." Immerhin spielt sich nur etwa
15 Prozent der Kommunikation im Geschäftsleben auf der Sachebene ab,
aber rund 75 Prozent auf der Beziehungsebene...

Wie sich die wirtschaftliche Lage auswirkt (Quelle: SOKO-Institut MAFO exklusiv für €uro)

Furcht um den Job

Angaben nach Alter in Prozent (14-19 Jahre = 0 Prozent)

20-29 Jahre 20,8
30-39 Jahre 24,6
40-49 Jahre 27,2
50-59 Jahre 20,8
60+ Jahre 26,0

Konkurrenzdruck und Neid nehmen zu Angaben nach Alter in Prozent
(14-19 Jahre = 0 Prozent)

Frauen 26,5
Männer 34,6
20-29 Jahre 33,0
30-39 Jahre 32,8
40-49 Jahre 30,2
50-59 Jahre 27,1
60+ Jahre 43,5

Kostenfaktor Angst

Angstzustände sind ein Tabu, vor allem im Wirtschaftsleben. Obwohl die Kosten enorm sind. Winfried Panse, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der FH Köln, hat errechnet: Durch den Beruf verursachte Ängste und ihre Auswirkungen kosten die deutsche Wirtschaft jährlich über 100 Milliarden Euro.

„Sich ab und zu vor einer Entscheidung zu fürchten ist völlig normal", sagt Panse. Jeder Manager kennt die Zweifel vor wichtigen Entscheidungen. Furcht kann die Menschen kurzzeitig zu Höchstleistungen anspornen. Hält der Angstzustand aber an, kann der Mitarbeiter handlungsunfähig werden.

Viele Menschen versuchen, Ängste mit Tabletten oder Alkohol zu kontrollieren, auch Mobbing oder innere Kündigung sind häufig. Besser ist es, mit einem Coach Gegenstrategien zu entwickeln und das Vertrauen wieder aufzubauen.

Teure Job-Ängste

Mit 100 Milliarden Euro schlagen die Auswirkungen beruflicher Ängste zu buche. Tendenz steigend. In MMilliarden Euro

Innere Kündigung 2003: 93 / 1999: 34
Alkohol 2003: 24 / 1999: 24
Fluktuation 2003: 18 / 1999: 20
Mobbing 2003: 15 / 1999: 15
Psycho-Pharmaka 2003: 10 / 1999: 10

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