"AUSGEGRENZT"
In Zeiten wachsenden Arbeitsdrucks, Web 2.0 und Whistleblowing wird der Umgang mit Mobbing noch komplizierter. Doch Wegducken bringt nichts. Das Thema muss professionell angegangen werden.

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Berührungsängste hat Andreas Grieger nicht. Zumindest nicht, wenn in seinem Betrieb die Fetzen fliegen und Teamarbeit zur Hölle wird. „In der Familie schaut man ja auch nicht weg, wenn Familienmitglieder untereinander Konflikte austragen“, sagt der Head of Human Resources des Sensorherstellers Sick in Waldkirch bei Freiburg. „Da müssen und wollen wir klare Zeichen setzen.“
Solche klaren Zeichen sind noch immer die Seltenheit. Mobbing gilt in vielen HR-Abteilungen weiterhin als heißes Eisen – nicht zuletzt wegen der zehn Jahre währenden öffentlichen Debatte. „Die allermeisten Firmen entwickeln zunehmend eine Allergie gegen den Modebegriff Mobbing“, sagt Lothar Drat, Koordinator des Vereins gegen psychosozialen Stress & Mobbing e.V. (VPSM) in Wiesbaden.
Kein Wunder. Wie häufig hören Personaler die Klage von unzufriedenen Mitarbeitern, „gemobbt zu werden“. Der Begriff wird heutzutage inflationär gebraucht. Dabei fällt unter Mobbing tatsächlich allein die systematische Schikane, die über einen längeren Zeitraum anhält und das Ziel hat, das Opfer auszugrenzen. Nicht jeder Teamkonflikt ist also gleich Mobbing. Und nicht jeder Mitarbeiter, der sich ungerecht behandelt fühlt, ist ein Mobbing-Opfer.
Grund zum Aufatmen ist das dennoch nicht. Mobbing ist längst keine Randerscheinung. Immerhin 5,5 Prozent aller Deutschen werden an ihrem Arbeitsplatz jährlich zu Opfern. Dies geht aus dem einzigen repräsentativen nationalen Mobbing-Report hervor, der 2002 von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin in Dortmund erhoben wurde. Mehr als jeder zehnte Berufstätige (11,3 Prozent) wurde demnach in seinem Leben bereits im Job gemobbt– Frauen (12,9 Prozent) etwas häufiger als Männer (9,6 Prozent).
Entwarnung ist auch heute nicht in Sicht. Im gegenteil. „Durch den zunehmenden Arbeitsdruck in den Betrieben steigt auch die Häufigkeit von Konflikten, die in Mobbing münden“, sagt Experte Drat. Zudem beobachtet der Sozialpädagoge,„dass die psychische Gewalt enthemmter wird“.

Das Betriebsklima leidet

Sich als HRler einfach wegzuducken, wäre fatal. „Unternehmen, die die Augen davor verschließen, schneiden sich ins eigene Fleisch“, sagt Mediatorin Monika Heilmann aus Leinfelden. Bei eskalierenden Konflikten litten nicht nur Betriebsklima und Arbeitsergebnisse. „In Zeiten des Web 2.0“, so Heilmann, „riskieren Firmen außerdem hohe Imageschäden, die weit über die Kosten des Konfliktmanagements hinausgehen.“ Dazu kommt die zunehmende Verbreitung von Whistleblowing in Unternehmen. Wo Beschäftigte ermutigt werden, Missstände aufzudecken, müssen Firmen für ihren besonderen Schutz sorgen.
Gründe genug also, aktiv zu werden gegen Mobbing. Unternehmen wie Sick haben diese Verantwortung erkannt. Personalchef Grieger etwa sieht es als wichtige Aufgabe seiner Abteilung an, bei dem Thema „Scheu und Barrieren abzubauen“. Unter der Belegschaft sei das Thema Mobbing oft eine No-go-Area. „Selbst wenn die Kollegen es mitbekommen, reagieren sie oft lange gar nicht oder tun es als Spaß ab.“ Hier sei Eingreifen gefragt.
Erkennen, vorbeugen, eindämmen: Das Aufgabenspektrum für Human Resources ist breit gefächert. Am deutschen Sick-Standort mit mehr als 2.000 Mitarbeitern gibt es im Jahr rund vier, fünf Mobbingfälle – von Psychoterror über Rufmord bis zu sexueller Belästigung. Grieger und seine Kollegen haben dabei von Anfang an auf eine enge Allianz mit dem Betriebsrat gesetzt. Eine klassische Rollenverteilung gibt es zwischen den beiden Parteien nicht. Wer was übernimmt, ergibt sich immer individuell – „je nachdem, zu wem die Betroffenen ein größeres Vertrauensverhältnis haben“, so Grieger.

Handlungsfähigkeit zeigen

Die firmeninterne Broschüre mit der Überschrift „Mobbing – wo andere leiden, hört der Spaß auf“ ist von Geschäftsleitung und Betriebsrat gemeinsam herausgegeben worden. Darin stehen leicht verständliche Beispiele, ein Leitfaden zur Problemerkennung und Hinweise zu Vertraulichkeitsschutz und Zivilcourage.
In konkreten Konfliktfällen wird zunächst in Vier- oder Sechsaugengesprächen mit den Betroffenen und dem Betriebsrat geklärt, ob es sich tatsächlich um Mobbing handelt. Anschließend folgen Gespräche mit allen Kontrahenten und eventuell mit deren Führungskraft. In jedem Einzelfall wird versucht, eine Lösung zu finden. Die kann je nach Fall stark variieren – von schriftlichen Vereinbarungen und Versetzungen über Ermahnungen und Abmahnungen bis hin zu Kündigungen. Wichtig ist vor allem, dass überhaupt etwas passiert. „Indem wir Handlungsfähigkeit zeigen, schützen wir alle Mitarbeiter“, sagt Grieger.
Kommen Firmen allein nicht mehr weiter, können sie externe Unterstützung suchen. Hilfsvereine wie der VPSM, Klima e.V. in Hamburg oder Anti-Mobbing e.V. in Münster bieten mit Teams aus Psychologen, Pädagogen und Anwälten diverse Hilfestellungen wie Diagnose, Coaching, Beratung, Rechtsrat und Mediation. Gemeinsam können so etwa Betriebsvereinbarungen aufgesetzt, Personalreferenten und Betriebsräte geschult sowie konkrete Konfliktfälle geschlichtet werden. Beim VPSM kostet eine Dreiviertelstunde Erstberatung 77 Euro.
Solche Ausgaben zahlen sich aus. Denn wer nichts tut, riskiert weitaus höhere Folgekosten – durch Krankheitsausfälle, innere Kündigungen und hohe Fehlerquoten.
Das weiß auch Andreas Löchte, Leiter des Bereichs Personalwesen der HUK-Coburg Versicherungsgruppe im bayerischen Coburg. Maßnahmen gegen Mobbing sind bei ihm Teil
des betrieblichen Gesundheitsmanagements. „Indem wir Mobbing zum Thema machen, holen wir es aus der Schmuddelecke“, sagt Löchte. Das Signal an die Mitarbeiter laute: Mobbing wird hier nicht geduldet. Bei mehr als 8.500 Beschäftigten in Deutschland treten bis zu zehn Fälle im Jahr auf. „Die sind allerdings nur die Spitze des Eisbergs“, so Löchte. „Es wäre naiv zu glauben,dass es in Wahrheit nicht noch mehr gibt.“ Gescheitert ist seine Anti-Mobbing-Strategie damit nicht. „Führungskräfte haben nicht versagt, wenn bei ihnen im Team Mobbing auftritt“, so Expertin Heilmann. „Sie haben nur dann versagt, wenn bei ihnen Mobbing auftritt und sie nichts dagegen tun.“
Genau hier setzt die HUK-Coburg an. Ihr Programm: Führungskräfte werden in Konflikttrainings für das Thema sensibilisiert. „Wir wollen sie nicht zu Psychiatern machen“, erklärt Löchte. „Wir wollen sie nur dazu bringen, die betreffenden Fälle zu erkennen und dann die jeweiligen Experten anzusprechen.“
Als Ansprechpartner wurde von der Personalabteilung ein extra ausgebildeter Kollege als interner Führungskräftebetreuer benannt. Außerdem hat die Firma eine Hotline eingerichtet, bei der Betroffene anonym anrufen können, um sich von Psychologen und anderen Experten beraten zu lassen.

Personaler als Partner

Was viele Firmen nicht wissen: Maßnahmen gegen Mobbing sind nicht nur „nice to have“. Sie gehören auch zur rechtlichen Pflicht eines Unternehmens. „Im vorprozessualen Bereich ist der Personaler sozusagen der Partner des Mobbing-Opfers, der mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln dafür zu sorgen hat, dass das Mobbing beendet wird“, erklärt Helmut P. Krause, Fachanwalt für Arbeitsrecht in Puchheim bei München. „Gelingt ihm dies nicht, drohen dem Arbeitgeber empfindliche Schmerzensgeld- und Entschädigungszahlungen we-gen Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Mobbing-Opfers.“
Die Beweislastverteilung vor Gericht scheint zunächst einmal in die Hände der Arbeitgeber zu spielen. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts muss der Arbeitnehmer die Pflichtverletzung des Arbeitgebers beweisen. „Personalabteilungen können sich jedoch keineswegs darauf verlassen, in einem Rechtsstreit am längeren Hebel zu sitzen“, warnt Krause, der schon zahlreiche Mobbing-Fälle vor Gericht ausgetragen hat. „Die Rechtsprechung wird von der Tendenz her eher arbeitnehmerfreundlicher.“ Aufgabe von Personalchefs sei es daher, Mobbing-Fälle so früh wie möglich zu erkennen und zu lösen. Zudem hätten sie die Aufgabe, Strukturen zu verhindern, die Mobbing begünstigen. Krause kennt die Klassiker darunter: „Schlechte Arbeitsorganisation, unklare Zuständigkeiten, ungerechte Arbeitsverteilung, widersprüchliche Arbeitsanweisungen und mangelhafte Informationsstrukturen gelten als wichtige Ursachen für das Entstehen von Mobbing-Situationen“, so der Arbeitsrechtler.
Seine rechtlichen Pflichten kennt auch Roland Wietschel, Leiter Personal und Revi sion der Drogeriemarktkette Rossmann in Burgwedel bei Hannover. Alle zwölf Personalreferenten des Einzelhändlers sind als systemische Berater und Coaches für das Thema Mobbing sensibilisiert und haben Erfahrungen mit Konfliktgesprächen. Sie sind bundesweit als Ansprechpartner für Führungskräfte und Mitarbeiter in eigenen Büros vor Ort vertreten und arbeiten beim Thema Mobbing eng mit den Betriebsräten zusammen. Die wiederum haben einen extra ausgebildeten Anti-Mobbing-Experten in ihren Reihen.
Trotz dieser vorbildlichen Aufstellung brodelt Mobbing auch bei Rossmann manchmal lange unter der Oberfläche. Etwa in dem Fall, der erst ans Licht kam, als eine Bezirksleiterin Störfälle im Betriebsablauf feststellte und bei dem zuständigen Personalreferenten nachfragte. In Gesprächen mit den Mitarbeitern der Filiale kam heraus, dass sich eine Mitarbeiterin von der Gruppe gemobbt fühlte – und umgekehrt die Gruppe von ihr.
Rossmann drehte das ganz große Rad, um eine Lösung zu finden, unter anderem mit zwei Aussprachen, an denen alle Teammitarbeiter sowie ein Personalreferent, ein Betriebsratsmitglied und die Bezirksleiterin teilnahmen. Heraus kam jedoch nichts. „Weil sich niemand aus der Deckung gewagt hat“, so Wietschel. Einzelgespräche mit der Mitarbeiterin führten letztlich auch nur dazu, dass sie die Situation nicht mehr ausgehalten und offiziell gekündigt hat. „Mobbing-Bekämpfung läuft eben nicht immer wie im Lehrbuch ab“, räumt Wietschel ein. Deshalb aber aufzustecken, käme dem Personalchef nicht in den Sinn. „Mobbing-Fälle lassen sich nicht so lösen, dass sich nachher alle Beteiligten wieder lieb haben“, so seine Überzeugung. Dennoch bleibt er dran – vor allem im Vorfeld dafür zu sorgen, künftiges Mobbing zu verhindern. „Prävention“, so Wietschel, „ist noch immer das beste Anti-Mobbing.“

Judith-Maria Gillies

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