Wiesbadener Kurier, 22.12.2012
Wiesbadener Beratungsstelle „Balance“ hilft Mobbing-Opfern
Von Anja Baumgart-Pietsch
Bereits 1995 entschloss sich der Sozialpädagoge Lothar Drat, eine Beratungsstelle gegen Mobbing ins Leben zu rufen. „Bis zum Jahr 2000 konnte man diesen Begriff auch noch gebrauchen - danach wurde er inflationär verwendet“, sagt Drat, Koordinator des Fachverbunds des Vereins gegen psychosozialen Stress und Mobbing (VPSM). Daher versucht er, Mobbing als Schlagwort zu vermeiden. Denn nicht alle Konflikte am Arbeitsplatz sind so zu bezeichnen.
Klare Definition
Mobbing ist keine Befindlichkeitsstörung oder ein Ausdruck von Unzufriedenheit: Es gibt dafür eine klare Definition. „Mobbing beschreibt einen komplexen psychosozialen Prozess, in dem ein Mensch systematisch, über einen längeren Zeitraum, gezielt, insbesondere psychischer Gewaltanwendung ausgesetzt ist.“
Stärke der Beratungsstelle „Balance“ in Rambach ist die Möglichkeit, interdisziplinär zu arbeiten: Neben Sozialpädagogen und Psychologen sind auch Rechtsanwälte Mitglieder des Vereins und können juristischen Rat geben.
Drei Euro pro Monat
In den Jahren seit der Gründung hat sich der Verein stark erweitert. Die Wiesbadener Beratungsstelle war quasi die Keimzelle für einen deutschlandweiten Fachverbund, dem mittlerweile 16 Rechtsanwälte und 38 Pädagogen beziehungsweise Psychologen angehören. „Der VPSM-Fachverbund ist ein Zusammenschluss selbstständiger und unabhängiger Experten, Arbeitsplatzkonflikt- und Mobbingberatungsstellen“, so Lothar Drat, der die Arbeit der einzelnen Stellen von Wiesbaden aus koordiniert.
Die Beratungs- und Coachingtätigkeit ist aber nur einer der Arbeitsbereiche des VPSM: Die Wiesbadener bieten Aus- und Fortbildung für Fachleute an - obiges Bild entstand bei einer Ausbildung, die Lothar Drat im idyllischen Garten der Beratungsstelle stattfinden lässt. Außerdem sorgt Drat für Öffentlichkeitsarbeit, spricht in den Medien über das Thema und verleiht damit Betroffenen eine Stimme.
In den fast 20 Jahren seit Gründung der Beratungsstelle haben sich die Fallzahlen stark erhöht. Nur eine kleine Anzahl der Fälle wird indes von der Krankenkasse finanziert. Die meisten Ratsuchenden müssen die Kosten der Beratung selbst tragen. Es war Lothar Drat von Anfang an ein Anliegen, Bedürftigen auch kostenlose Beratung anbieten zu können. „Dieses Ziel konnten wir leider noch nicht erreichen, da es uns an Förderern fehlt“, bedauert er.
Dabei kann auch mit kleinen Mitteln Großes bewirkt werden, denn bereits fünf neue Förderer mit einem monatlichen Förderbeitrag in Höhe von drei Euro realisieren eine Beratungsstunde durch Rechtsanwälte, Diplom- Psychologen und Diplom-Sozialpädagogen“, so der Leiter der Beratungsstelle.
Eines dürfe man nicht unterschätzen: „Es erkranken etwa zehn Prozent der Betroffenen ernsthaft. Jeder sechste Suizid hat einen Mobbing-Hintergrund. Mobbing ist ein enormer betriebs- und volkswirtschaftlicher Kostenfaktor“, sagt Drat. Daher sei eine „psychosoziale Feuerwehr“ wie der VPSM sehr wichtig.