Wirtschaftsflaute begünstigt Mobbing
Wenn aus Sticheln systematische Schikane wird und was man dagegen tun kann
19.12.2005, Annette Jäger
WIESBADEN Arbeitnehmer müssen sich mitunter einiges gefallen lassen. Jüngst urteilte das Landesarbeitsgericht München, dass ein rauer Umgangston, geschmacklose Äußerungen und Kritik an der Arbeit kein Mobbing seien und deshalb dem Opfer weder Schmerzensgeld noch Schadensersatz zustünden (LAG München, Az.: 15 O 25369/04). Mobbing ist ein komplizierter Tatbestand und trifft - auch wenn es zum Modewort geworden ist - nicht für jede Art von Konflikt am Arbeitsplatz zu.
Sticheleien, Frotzeleien, Tuscheln hinterm Rücken und ein scharfer Umgangston rechtfertigen noch keinen Mobbing-Vorwurf. Erst wenn sich die Schikanen systematisch und über einen längeren Zeitraum immer gegen dieselbe Person richten, kann man von Mobbing sprechen. Dann allerdings sollten Betroffene nicht stillhalten in der falschen Hoffnung, dass der Psychoterror wieder aufhört.
"In Zeiten wirtschaftlicher Flaute und massiven Stellenabbaus werden Mobbingfälle immer häufiger", stellt Lothar Drat vom Verein gegen psychosozialen Stress und Mobbing (VPSM) in Wiesbaden fest. Noch immer wird aber in vielen Chefetagen das Problem verleugnet. Die Folge: Die Betroffenen entwickeln unter dem Dauerangriff auf das Selbstwertgefühl (und den ggf. intensiven Formen von Stigmatisierung, Verleumdungen, u.U. Ruf-Mordungen) massive psychische und physische Schäden - was zudem mit individuellen Kosten der Opfer verbunden ist. Karrieren enden in der Arbeitslosigkeit oder Erwerbsunfähigkeit.
Mobbing ist auch für Betriebe höchst unwirtschaftlich: häufige Krankmeldungen und schwindende Motivation der Mitarbeiter sind die Folge. Wissenschaftliche Schätzungen gehen von 25 000 bis 75 000 Euro betrieblicher Kosten je Jahr und Betroffenem aus. "Darum sind Maßnahmen der Betriebe wichtig, die das Betriebsklima verbessern und vorbeugen können", ...
Schikanen laufen immer gleich ab: Am Anfang steht oft ein harmloser Konflikt. Wenn er ungelöst bleibt und die Betroffenen ein Ventil suchen, um Stress und Unzufriedenheit abzulassen, eskaliert er. Dafür sucht man sich häufig einen Sündenbock. Haben sich die Schikanen erst etabliert, schwinden die Chancen des Opfers, den Konflikt im Guten zu lösen. Deshalb sollte man sich so früh wie möglich zur Wehr setzen. ...
Parallel dazu sollten Betroffene eine Beratungsstelle aufsuchen. "Die sucht nach einer individuellen Lösung", so Berater Drat. Manchmal kann die Konfliktlösung mit einem (Schlichter / Vermittler) Mediator sinnvoll sein. In anderen Fällen, wenn etwa die Vorgesetzten von dem Problem nichts wissen wollen, ist die Kündigung (u.U.) ... der einzig mögliche Schritt.
Auch der Weg vor Gericht kann ein Ausweg sein: "Bei Klagen wegen Abmahnungen (wenn der Betroffene den Betrieb verlassen möchte) oder krankheitsbedingter Kündigung sind die Erfolgsaussichten gut", hat der Hamburger Rechtsanwalt Frank Sievert erfahren. Denn dann liegt die Beweislast beim Arbeitgeber. Von Schmerzensgeldklagen sollte man lieber die Finger lassen. Denn hier muss der Betroffene Beweise liefern. Und ob Kollegen für einen scheidenden Mitarbeiter aussagen, ist fraglich. Schließlich will keiner das nächste Opfer sein.