Wenn Mehmet und Ayse Lukas und Leonie mobben
on Alexander Riedel, dpa
Mit Material von ZDF
Integrationsbericht im Bundestag
Deutsche Schüler werden an Brennpunktschulen zunehmend gemobbt. Grund dafür ist nach Ansicht von Experten nicht der kulturelle Hintergrund, sondern die fehlende Perspektive muslimischer Schüler. Integration ist heute auch Thema im Bundestag.
Viele Schüler kennen das: Der Weg zur Schule, die Pause oder der Sportunterricht werden zur Qual. Der Grund: die Mitschüler. Heute nennt man es Mobbing, aber Hänseln und Schikanieren gab es unter Schülern schon immer, sagen Experten.
Diskriminierung von Minderheiten
Einige Berliner Lehrer warnten jüngst vor einer neuen Entwicklung.
In Problemvierteln von Großstädten würden Schüler deutscher Herkunft von mehrheitlich muslimischen Mitschülern drangsaliert. "Viele deutsche Schülerinnen und Schüler empfinden sich als eine abgelehnte, provozierte, diskriminierte Mehrheit, meist ohne nicht-deutsche Freunde" , berichtete Hauptschullehrer Norbert Gundacker bei einer Tagung zur Deutschenfeindlichkeit an deutschen Schulen in Berlin.
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Integration im Bundestag
Der Bundestag beschäftigt sich heute mit der Lage der Ausländer in Deutschland. Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU), stellt den Abgeordneten ihren jüngsten Bericht vor. Der war bereits im Juli offiziell veröffentlicht worden.
Aus ihm geht hervor, dass es zwar einige Fortschritte bei der Integration von Ausländern gibt. Die Lage habe sich aber noch nicht wesentlich verbessert. Vor allem auf dem deutschen Arbeitsmarkt seien Migranten weiterhin benachteiligt.
Gundacker berichtete, dass türkischstämmige Schüler ihre deutschen Mitschüler häufig köpekler" nennen, das heißt Hunde. Das würde gezielt und nahezu ausschließlich benutzt. Lehrerinnen würden oft als "Deutschen-Schlampen" bezeichnet, Mitschüler regelmäßig als "Ihr seid doch alles Schweinefleischfresser" beschimpft. In der Berliner Zeitschrift der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) klagten Pädagogen, darunter Gundacker, über "Deutschenfeindlichkeit" - und lösten damit eine Diskussion unter Lehrern, Sozialarbeitern und Forschern aus.
GEW: Studien und Sachlichkeit fehlen
An manchen Schulen in Problemvierteln von Großstädten trauen sich nicht-muslimische Schüler in der Pause offenbar kaum noch auf den Schulhof. Sie hätten Angst vor den mehrheitlich muslimischen Mitschülern, die sie beschimpften und schlügen, klagen viele Pädagogen an sozialen Brennpunkten. "An solchen Schulen versucht die Mehrheit der Verlierer die Minderheit der Verlierer zu mobben", sagte das Bundesvorstandsmitglied
der Lehrergewerkschaft GEW, Norbert Hocke.
Hocke erinnert daran, dass in den 90er Jahren italienische und türkische Schüler von der deutschen Mehrheit gemobbt wurden. "Damals gab es Untersuchungen darüber:
Wie fühlt sich die Minderheit? Wie die Mehrheit?" Das fordert Hocke auch heute.
Es gelte, Sachlichkeit in die Diskussion zu bringen.
Verlierer gegen Verlierer
Der Gewerkschafter warnt davor, den kulturellen Aspekt zu wichtig zu nehmen, Jugendliche gegeneinander auszuspielen. "An solchen Schulen versucht die Mehrheit der Verlierer die Minderheit der Verlierer zu mobben", sagte er. Werde die Diskussion über die Ursachen auf die muslimische Herkunft verkürzt, suchten diese Jugendlichen am Ende womöglich Halt bei religiösen Hardlinern in Moscheevereinen.
"Ich finde die ganze Debatte lächerlich, fast schon peinlich", schimpft Sanem Kleff, Leiterin des bundesweiten Projekts "Schule ohne Rassismus". Tatsache sei: Überall dort, wo es eine Mehrheit gebe, gebe es die Tendenz, die Minderheit zu diskriminieren. Dem müsse man überall entgegentreten. "Menschen sind Individuen und sollten nicht nur als Teil einer Gruppe gesehen werden."
Umdenken bei Lehrern
Kulturelle Faktoren würden allenfalls eine sekundäre Rolle spielen, meint auch Lothar Drat, Vorsitzender des Vereins gegen psychosozialen Stress und Mobbing in Wiesbaden. "90 Prozent der deutschen Kinder würden sich in ähnlicher Situation wahrscheinlich genauso verhalten." Es gebe allerdings schon Besonderheiten: Wenn perspektivlose Jugendliche kein Deutsch könnten, dann nehme körperliche Gewalt zu. Schüler, die aus dem unteren Drittel der Gesellschaft kämen, wollten damit oft ein Zeichen setzen.
Die Rütli-Schule im Berliner Stadtteil Neukölln zeigt, dass es auch anders geht - und dass engagierte Lehrer viel bewegen können. Die Schule hatte vor Jahren Aufsehen erregt, als die Lehrer in einem Brandbrief Alarm geschlagen hatte. Heute gilt sie als Modellschule. "Die Schüler dort sind immer noch die gleichen, aber die Lehrer haben ihre Haltung und ihre Programme geändert", sagt Rassismusforscherin Iman Attia von der Alice Salomon Hochschule in Berlin. Die Schüler seien "nicht per se problematisch". Sie brauchten aber Lehrer, die sie wahrnähmen und ihnen Chancen aufzeigten.