Wiesbadener Tagblatt, 21.12.2012
VPSM: Wiesbadener Beratungsstelle „Balance“ hilft Mobbing-Betroffenen
Von Anja Baumgart-Pietsch
Bereits 1995 entschloss sich der Sozialpädagoge Lothar Drat, eine Beratungsstelle gegen Mobbing ins Leben zu rufen. „Bis zum Jahr 2000 konnte man diesen Begriff auch noch gebrauchen - danach wurde er dann inflationär verwendet“, sagt Drat, Koordinator des Fachverbunds des Vereins gegen psychosozialen Stress und Mobbing (VPSM). Daher versuche er, Mobbing als Schlagwort zu vermeiden, denn nicht alle Konflikte am Arbeitsplatz sind so zu bezeichnen.
Mobbing ist keine Befindlichkeitsstörung oder ein Ausdruck von Unzufriedenheit: Es gibt dafür eine klare Definition. „Mobbing beschreibt einen komplexen psychosozialen Prozess, in dem ein Mensch systematisch, über einen längeren Zeitraum, gezielt, insbesondere psychischer Gewaltanwendung ausgesetzt ist“, so kann man es auf der gerade neu gestalteten Webseite des Wiesbadener Vereins nachlesen.
Konflikte, so Lothar Drat, gehörten zum Leben - auch am Arbeitsplatz. Doch eine kleine Anzahl von Konflikten eskaliere so, dass es zu einem ungesunden Prozess komme. Es gelte daher, genau abzugrenzen, ob der Vorwurf des Mobbings etwa unberechtigt sei. Daher wird in der Erstberatung bei „Balance“, so der Name der Beratungsstelle in Rambach, großer Wert darauf gelegt, die Fakten zu klären. Und es gebe auch kein Patentrezept, weiß Lothar Drat. Jeder Fall, der übrigens nicht nur Arbeitsplatz-Konflikte zum Inhalt haben muss, wird individuell bearbeitet.
Stärke der Beratungsstelle ist die Möglichkeit, interdisziplinär zu arbeiten: Neben Sozialpädagogen und Psychologen sind auch Rechtsanwälte Mitglieder des Vereins und können juristischen Rat geben. In den Jahren seit der Gründung hat sich der Verein stark erweitert, und die Wiesbadener Beratungsstelle war quasi die Keimzelle für einen deutschlandweiten Fachverbund, dem mittlerweile 16 Rechtsanwälte und 38 Pädagogen beziehungsweise Psychologen angehören. „Der VPSM-Fachverbund ist ein Zusammenschluss selbständiger und unabhängiger Experten, Arbeitsplatzkonflikt- und Mobbingberatungsstellen, die in ihrer jeweiligen Region auf hohem Niveau Qualität garantieren“, so Lothar Drat, der die Arbeit der einzelnen Stellen von Wiesbaden aus koordiniert.
Die Beratungs- und Coachingtätigkeit ist aber nur einer der Arbeitsbereiche des VPSM: Die Wiesbadener bieten Aus- und Fortbildung für Fachleute an - obiges Bild entstand bei einer Ausbildung, die Lothar Drat gern im idyllischen Garten der Beratungsstelle hoch über Rambach stattfinden lässt. Außerdem sorgt Drat für Öffentlichkeitsarbeit, spricht in den Medien über das Thema und verleiht damit Betroffenen eine Stimme.
In den fast 20 Jahren seit Gründung der Beratungsstelle haben sich die Fallzahlen stark erhöht. Viele Klienten werden von Ärzten oder Therapeuten vermittelt, andere finden den Weg zu „Balance“ selbst, auch über das Internet. Nur eine kleine Anzahl der Fälle wird indes von der Krankenkasse finanziert. Die meisten Ratsuchenden müssen die Kosten der Beratung selbst tragen. Es war Lothar Drat von Anfang an ein Anliegen, Bedürftigen auch kostenlose Beratung anbieten zu können. „Dieses Ziel konnten wir leider noch nicht erreichen, da es uns an Förderern fehlt“, bedauert er.
Mit drei Euro unterstützen
Daher gibt es auf der neuen Webseite nun auch einen Menüpunkt „Förderung / Spenden / Referenz“. „Unser großer Wunsch ist es, dass unsere Arbeit ein breites Fundament aus Förderern erhält. Hier kann auch mit kleinen Mitteln Großes bewirkt werden, denn bereits fünf neue Förderer mit einem monatlichen Förderbeitrag in Höhe von drei Euro realisieren in Wiesbaden eine Beratungsstunde durch Rechtsanwälte, Diplom- Psychologen und Diplom-Sozialpädagogen zu einem bezahlbaren Eigenanteil“, so der Leiter der Beratungsstelle. „Wir bedanken uns bei allen Förderern, die wie wir ‚Lust auf mehr Respekt‘ haben“, sagt Lothar Drat. Denn eines dürfe man nicht unterschätzen: „Es erkranken etwa zehn Prozent der Betroffenen ernsthaft. Jeder sechste Suizid hat einen Mobbing-Hintergrund. Mobbing ist ein enormer betriebs- und volkswirtschaftlicher Kostenfaktor“, sagt Drat.
Daher sei eine „psychosoziale Feuerwehr“ wie der VPSM sehr wichtig.