Fachverbund schlägt Alarm
Hölle Arbeitsplatz
von Petra Mies
Kleines Treffen auf der Büro-Toilette. "Der Mustermann kriegt auch nichts mehr hin", sagt die Angestellte Lästermaul und lächelt genüsslich. "Stimmt, außerdem ist er faul und dumm", pflichtet Kollegin Oberclever beim Händewaschen hinzu. Das jedoch dient quasi nur zum Aufwärmen. Denn dem Mann, den die Damen im Visier haben, wird die halbe Abteilung noch viel mehr Übles nachsagen - bis hin zu schmutzigen Geschichten über seine angeblichen Lebensverhältnisse nach Dienstschluss.
"Das kennen wir aus der Politik", befindet Lothar Drat. "Wenn nichts mehr geht, geht es in den Privatbereich." Der Sozialpädagoge wirkt in der Geschäftsführung des Vereins gegen psychosozialen Stress und Mobbing in Wiesbaden (VPSM). Und der Fachverbund schlägt Alarm: Mittlerweile jeder Vierte in Hessen erlebe einmal im Berufsleben den Psychoterror und sehe sich mehr oder weniger stark von den ach so lieben Kollegen drangsaliert. Tendenz: steigend. Unter den Mobbing-Opfern gehörten 40 Prozent zu den extrem leistungsfähigen, kreativen und durchsetzungsfähigen Mitarbeitern, erklärt Drat.
Die Folgen beschreibt der Experte auch als volkswirtschaftlich dramatisch. "Zehn Prozent der Betroffenen erkranken sehr ernsthaft", sagt Drat. Die Anfänge der Abwärtsspirale könnten ein gestörter Schlaf, Dauer-Kopfweh oder Magenschmerzen sein. Und das könne sich je nach Schwere des Mobbing-Falles bis hin zu Depressionen, Posttraumatischen Belastungsstörungen oder generellen Angststörungen auswachsen. Die Hölle Arbeitsplatz macht dauerhaft krank.
Der Fachverbund ist darauf spezialisiert, auf "hohem Niveau" Hilfen von der Diagnose bis zum Coaching anzubieten, sagt Drat. Nach dem ersten Beratungsgespräch würden gemeinsam Strategien entwickelt. Hat die betriebsinterne Rufmord-Kampagne schon so viel Schaden angerichtet, dass gar nichts mehr geht? Kann der stigmatisierte Mensch nach einer Auszeit etwa von mehreren Monaten doch noch in seine Firma zurückkehren, unterstützt von Mediation? Oder gibt es nur einen Ausweg aus der Angstfalle, nämlich den Ausstieg? Die juristischen Hilfen seien dabei ebenso wichtig wie die therapeutischen.
Besonders häufig treffe der psychosoziale Stress Mitarbeiter im öffentlichen Dienst und angrenzenden Bereichen. Wo immer eine Leistung nicht klar messbar und kontrollierbar sei, gedeihe die böse Saat. Wie können sich die anderen Kollegen verhalten, die den Terror wahrnehmen, auch wenn sie selbst nicht beteiligt sind? Drat vergleicht die Situation mit der bei öffentlicher Jugendgewalt. "Die Lösung ist sehr leicht und sehr kompliziert", erklärt er. "Wenn ein paar Menschen zusammen aufstehen und helfen, ist sie leicht. Aber wenn sich nur ein Beobachter ganz alleine widersetzt, kann auch er selbst plötzlich in den Mobbing-Fokus geraten."